Jeder Mensch beginnt gleich.
In den ersten Wochen nach der Empfängnis gibt es keinen männlichen oder weiblichen Körper. Jedes Embryo folgt demselben Entwicklungsplan. Etwa fünf Wochen nach der Befruchtung besitzt der Fötus dieselben Gewebeanlagen – die sogenannte Genitalleiste – und zwei Kanalsysteme, aus denen sich entweder männliche oder weibliche Organe entwickeln könnten. Selbst die Brustwarzen entstehen, bevor überhaupt jene Hormone aktiv werden, die geschlechtliche Unterschiede formen. Deshalb haben alle Menschen sie.
Zwischen der sechsten und zwölften Schwangerschaftswoche beginnen Gene und Hormone, den Weg der Entwicklung zu bestimmen. Ein Gen auf dem Y-Chromosom, SRY, kann die Produktion von Testosteron in den Hoden anstoßen. Wenn dieses Gen aktiv ist und die Zellen stark darauf reagieren, entsteht männliche Anatomie. Wenn nicht, entwickelt sich weibliche Anatomie – gewissermaßen als Standard.
Doch dieser Prozess ist kein simples Schwarz-Weiß. Zeitpunkt, Hormonspiegel, Empfindlichkeit der Rezeptoren und viele kleine genetische Unterschiede können beeinflussen, wie sich Körper und Gehirn formen.
Diese Vielfalt ist normal.
Biolog*innen sprechen von sexueller Differenzierung – einem Spektrum, nicht einer starren Zweiteilung. Intergeschlechtliche Menschen sind der lebende Beweis dafür: Allein im Vereinigten Königreich leben etwa 1,3 Millionen Menschen, deren körperliche Merkmale nicht in die klassischen Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ passen. Manche haben XY-Chromosomen, aber Eierstöcke; andere haben XX-Chromosomen, aber höhere Testosteronspiegel; wieder andere haben genetische Kombinationen, die sich nicht klar zuordnen lassen. All das ist nichts Ungewöhnliches – es ist schlicht menschliche Biologie.
Auch das Gehirn folgt diesem Muster.
Während der Schwangerschaft wird das Gehirn durch dieselben Hormone geprägt, die auch den Körper beeinflussen. In manchen Fällen stimmen beide Entwicklungen nicht vollständig überein. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass es subtile strukturelle und funktionale Unterschiede zwischen typischen männlichen und weiblichen Gehirnen gibt.
Eine Auswertung in Nature Reviews Neuroscience (2019) fand heraus, dass bei trans Frauen mehrere Gehirnregionen stärker weiblichen Mustern ähneln als männlichen. Mit anderen Worten: Das Empfinden einer geschlechtlichen Identität ist biologisch begründet – nicht Einbildung.
Trans zu sein ist also keine Modeerscheinung, keine Phase und keine „soziale Ansteckung“. Es ist ein Ausdruck natürlicher menschlicher Vielfalt.
Kulturelle Vielfalt bestätigt das.
In vielen Gesellschaften auf der ganzen Welt wurden mehr als zwei Geschlechter anerkannt: die Hijra in Südasien, Two-Spirit-Personen in indigenen Gemeinschaften Nordamerikas oder die fa’afafine in Samoa. Die moderne Wissenschaft erklärt nun, wie diese Vielfalt entsteht – durch normale, biologische Unterschiede in Genen, Hormonen und Gehirnstruktur.
Medizinische Forschung zeigt außerdem:
Geschlechtsaffirmierende Behandlungen verringern psychisches Leid erheblich. Studien belegen, dass Pubertätsblocker, Hormontherapien oder unterstützende medizinische Versorgung Depressionen und Suizidgedanken deutlich reduzieren können. Laut dem Trevor Project (2023) waren trans Jugendliche mit Zugang zu solcher Versorgung 73 % weniger wahrscheinlich, einen Suizidversuch zu unternehmen. Sowohl die Endocrine Society als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufen diese Maßnahmen als medizinisch notwendig ein.
Und doch halten sich Mythen.
Falschinformationen behaupten, Biologie sei einfach, Geschlecht ließe sich nur an Chromosomen ablesen oder Menschen könnten durch gesellschaftliche Einflüsse „trans gemacht“ werden. Die Realität ist komplexer. Selbst Chromosomen folgen keinem strikten Muster: Manche Frauen haben XY, manche Männer XXY, andere besitzen mosaikartige Kombinationen. Entscheidend für die gelebte Realität ist, wie sich Körper und Gehirn entwickeln, nicht ein Buchstabe auf einem Laborbefund.
Wer also fragt, warum es trans Menschen gibt, findet die Antwort in der Biologie selbst:
Jedes Embryo beginnt gleich. Hormone und Gene lenken die Entwicklung in verschiedene Richtungen. Manchmal stimmen Körper und Gehirn nicht vollständig überein – und genau das macht uns Menschen so vielfältig und faszinierend.
Trans Menschen sind nicht gegen die Natur. Sie sind Natur.
Sie existieren, weil Biologie Vielfalt hervorbringt.
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Quellen:
- Daniel Lismore (Facebook)
- National Institutes of Health – Fetal Development Week by Week (2024)
- Scientific American – „The New Science of Sex and Gender“ (2017)
- Nature Reviews Neuroscience (2019, 20:725–735) – Sex differences in the human brain
- Endocrine Society – Clinical Practice Guideline on Endocrine Treatment of Gender-Dysphoric/Gender-Incongruent Persons (2017)
- World Health Organization – Sex and Gender in Health Research (2022)
- The Trevor Project – U.S. National Survey on LGBTQ Youth Mental Health (2023)




